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Tradwives, männliche Führungsrollen und Co: Ist das christlich? - Ein Blick in die Bibel

Tradwives, konservative Influencer und Co prägen alte Rollenbilder. Sind diese wirklich die erhoffte gute Nachricht für Menschen, die Beziehung suchen, und von der die Bibel spricht? Ich argumentiere, dass eine "biblische" Perspektive auf das Thema deutlich tiefer ist.
Tradwives, männliche Führungsrollen und Co: Ist das christlich? - Ein Blick in die Bibel
Photo by Marisa Howenstine / Unsplash

Seit einiger Zeit ist ein bemerkenswerter Trend in den Sozialen Medien zu beobachten: Konservative Influencerinnen und Influencer trauen sich an die Öffentlichkeit und werden gehört. Nicht nur die Politische Rechte erhält Zulauf, auch religiöse Deutungsmuster finden Gehör. Manchmal reichen sie sich sogar die Hand, wie im Tradwife-Trend, der es bis in die Heute-Nachrichten geschafft hat. Lange schien öffentliche Meinung die Auflösung "traditioneller" Lebensformen zu befürworten, nun scheinen insbesondere junge Leute, vor allem Männer, auf diese zurückzufallen oder diese wiederzuentdecken. Woran das liegt? Sicherlich in der angepriesenen Stabilität und vermeintlichen Einfachheit, die Influencer suggerieren und die Orientierung, die das in einer unüberschaubar gewordenen Welt schenkt. Auf christlicher Seite wiederum meint man die Bibel und eine ganze Tradition auf seiner Seite stehen zu haben. Sind weibliche Unterordnung unter Männer und geistliche Erwartungen an Menschen des anderen Geschlechts jedoch wirklich die erhoffte gute Nachricht für Menschen, die sich nach Beziehung sehnen, und von der die Bibel spricht?

Als männlich und weiblich geschaffen, um zusammen zu gehören

Zuerst einmal entspricht es der christlichen Tradition, den Menschen als männlich und weiblich konstituiert zu sehen. Das formulieren auch die Schöpfungserzählungen in der Bibel sehr deutlich (s. Gen 1+2). Was mir in diesen Texten jedoch auffällt ist, dass hier erstmal gar nichts darüber gesagt wird, was Mann- und Frau-Sein eigentlich bedeutet. Zwar ist es möglich, die Zweite Schöpfungserzählung so zu interpretieren, dass Mann und Frau mit bestimmten Rollen geschaffen wurden. (Genau das wurde in der Geschichte dann auch lange gemacht, mit zum Teil verheerender Wirkung.) Gleichzeitig verfehlt man in einer solchen Deutung wohl die eigentliche Pointe der Erzählung: auf künstlerisch-orientale Art und Weise wird hier erzählt, dass Gott den Menschen als soziales Wesen geschaffen hat. Hier geht es in erster Linie nicht um die Rollen von Mann und Frau, sondern darum, dass die Schöpfung erst vollendet ist, als Gott den Menschen in zwei Teile teilt, indem er eine Seite [צֵלָע] des Menschen nimmt und zur Frau macht. Im Höhepunkt der Geschichte wird geradezu die Zugehörigkeit und Gleichstellung von Mann und Frau betont (s. Gen 2,23-24).

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Das kommt auch in dem Wort "Hilfe", mit der die Frau beschrieben wird, zum Ausdruck: es wird im Ersten Testament vor allem für Gott selbst gebraucht und ist abhängig vom Rest des Satzes: "eine Hilfe, die dem Menschen entspricht". Mit Erschaffung der Frau schafft Gott hier die Möglichkeit menschlicher Nachkommenschaft, Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung. Die Frau (und entsprechend das, was durch sie ins Leben tritt, z.B. Nachkommen) soll "dem Menschen" zum göttlichen Beistand werden. Der Mensch ist nicht als Einzelwesen gedacht.

In der Ersten Schöpfungserzählung wird die Gleichstellung von Mann und Frau noch deutlicher. Der Mensch tritt hier nämlich nur als "männlich und weiblich" in Erscheinung: "Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn, als männlich und weiblich schuf er sie." (Gen 1,27) Weder ist hier der Mensch "männlich" und die Frau ein Anhängsel, noch ist er nur "weiblich", sondern "als männlich und weiblich schuf er sie". An der Satzstruktur wird hier deutlich: Wer Mensch sagt, in diesem Verständnis, sagt im Grunde immer weiblich und männlich gleichzeitig. Meines Erachtens drückt sich hier die biologische Tatsache aus, dass nur die Kombination aus männlich und weiblich einen neuen Menschen schafft, der hormonell und genetisch immer auch beides in sich trägt.

Die christliche Tradition betont daher recht universal die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau, von Menschen grundsätzlich. Sie betont auch den Eigenwert des biologischen Geschlechts und, durch christlichen Platonismus verdeckt aber in unserer Zeit wiederentdeckt, auch den Eigenwert des Körpers. Sowohl Menschen mit männlichen Geschlechtsmerkmalen, als auch Menschen mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen, wie auch immer ausgeprägt diese sein sollten, jede*r auf diesem Spektrum ist "Bild Gottes". Keine biologische Ausprägung ist vor Gott mehr wert als eine andere. Die Unterschiede gehören vielmehr bewusst zur Welt dazu und sollen einander zur göttlichen Hilfe werden.

Schon in den ersten zwei Kapiteln der Bibel wird also die Perspektive einer individuellen und absoluten Würde deutlich, die im Alltag oft verschwindet. Weder ist die Annahme der eigenen Körperlichkeit, noch diese Zusammengehörigkeit, Gleichstellung und Ergänzung von männlich, weiblich und sonstiger Unterschiede eine Realität. Im Gegenteil: wir versuchen durch Regeln, Gleichmacherei oder Selbstvergötterung irgendwie der Vielfalt Herr zu werden.

Einseitige Unter- und Überordnung ist Sündenfluch

Schon das 3. Kapitel der Bibel spricht das angespannte Verhältnis der Geschlechter, das in jeder Tageszeitung auftaucht, an. Es erzählt die Geschichte des sogenannten "Sündenfalls", eines grundlegen Beziehungsbruchs des Menschen mit seiner Umwelt und mit Gott. Aufgrund dieses Beziehungsbruchs ist auch das Verhältnis der Geschlechter untereinander grundlegend gestört, was mit einem "Fluch" für die Frau beschrieben wird: "Dein Verlangen wird nach deinem Mann sein, aber er wird über dich herrschen." (Gen 3,16)

Ich finde es spannend, wie kritisch dieser archaische Text aus einer von Männern dominierten Umwelt hier mit der männlichen Oberherrschaft ins Gericht geht: Die Dominanz des Mannes über die Frau entspringt der Sünde. Trennung von Gott heißt im Verhältnis der Geschlechter: Herrschaft des Mannes und Unterordnung der Frau unter den Mann, sogar die selbstgewählte!

Das Ende der Geschichte von Adam und Eva bringt dieses Missverhältnis auf den Punkt: nachdem der Mann sich selbst erstmal "Isch" (Mann) und die Frau gleichstellend "Ischah" genannt hatte, gibt der Mann nun der Frau einen neuen Namen: Eva (hebr. Chava). Einen Namen, der Anklänge hat an "Leben" (im Sinne einer Lebensbringerin, hebr. Chaya), aber auch an die Wörter "niederknien", "verkünden" (beides Grundfrom Chava) und "Schlange" (Chivya). In der Erzählung hatte sich die Frau von einer Schlange überzeugen lassen, durch Essen einer verbotenen Frucht wie Gott sein zu können, und hatte wiederum den Mann überzeugt, es ihr gleich zu tun. Die Frau wird mit ihrem neuen Namen nun also in ihrer Funktion für den Mann bestimmt, ihr Potenzial zur Mutterschaft hervorgehoben. Damit wird sie zwar, konservativ gesehen, gewürdigt. Allerdings wird ihr auch das Trauma und der Fluch des Sündenfalls in ihren Namen eingeschrieben.

Ein tieferes Problem

Diese Geschichte bringt hervorragend zum Ausdruck: durch alle Zeiten hindurch besteht ein Missverhältnis der Geschlechter. Die Menschheit sucht alle möglichen Wege, um mit dem eigenen Körper und denen anderer Menschen zurecht zu kommen. Das wird vielleicht am Offensichtlichsten im sexuellen Bereich, wo in unserer Gesellschaft zum einen zugestanden wird, dass sich Menschen ausprobieren und finden sollten, zum anderen aber ein riesiges Missbrauchsproblem, besonders im familiären Bereich, grassiert. Scheinbar ist die Suche nach dem eigenen Ich gar nicht so leicht. Allgemeiner wird diese Suche ganz grundsätzlich deutlich, in der Definition sozialer Geschlechter: ob wir uns jetzt als Mann oder Frau identifizieren, als Trans, Agender, Multigender oder Genderfluid, wir halten ein Verständnis davon fest, was es für uns heißt und heißen soll, mit unserem Körper und mit anderen umzugehen, doch es bleibt eine stets zu diskutierende Frage und neu zu prägende Aufgabe. Offenbar ist der Mensch sich selbst entfremdet.

Die These dieser alten biblischen Geschichte, meine ich, ist es, dass das Problem tiefer sitzt und ganz grundsätzlich unser Verhältnis zur Welt betrifft. Erst in Beziehung zu Gott, im Aufgeben meiner Selbstdefinition, wird der Fluch der Entfremdung gelöst und finde ich überhaupt zum echten Frieden mit mir selbst und mit anderen zurück. Die Empfehlung für jede Gesellschaft wäre entsprechend: zu diesem G-tt zu finden und Beziehung zu lernen. Jeder weitere Versuch ist, aus dieser Perspektive betrachtet, bloß der Versuch das Chaos einzudämmen.

Frieden braucht Augenhöhe und gegenseitige Unterordnung

Praktisch sind gelöste, friedvolle zwischenmenschliche Beziehungen Beziehungen auf Augenhöhe. Gute Beziehungen sind von Ehrlichkeit geprägt, aber auch vom Zuhören. Man ist bereit, sich vom Anderen hinterfragen zu lassen. Augenhöhe heißt: nicht über den Anderen hinwegreden, sondern sich um einen Rahmen zu bemühen, in dem man miteinander reden will. Augenhöhe sucht nach der Wahrheit und maßt sich nicht an, alles bereits zu wissen, auch wenn sie bedeutet, die eigenen Erfahrungen ernst zu nehmen und nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Augenhöhe kann zwar heißen dem Anderen auch entschieden entgegenzutreten, hat jedoch immer das Gespräch im Blick und lässt an mancher Stelle auch die Möglichkeit zum Widerspruch. Sie bemüht sich darum, den Anderen dort zu sehen, wo er steht.

Gedanken, die ein wenig nach "Liebe" klingen. Ähnlich hören sich jedenfalls auch Gedanken an, die man über die Liebe in der Bibel findet. Die Frage ist, wie man zu einer solchen Liebe kommt. Muss man dafür etwa bestimmte Rollen einnehmen, auf eine bestimmte vorgefertigte Art und Weise leben?

"Ordnet euch einander unter, wie es die Ehrfurcht vor Christus verlangt." Eph 5,21

Um zu echter Augenhöhe zu kommen, braucht es die Bereitschaft einen Schritt zurückzutreten, eine Art innerliche Unterordnung unter den Anderen, ohne dass man sich dabei selbst negiert. Das heißt: keine Abhängigkeit vom Anderen und auch keine Unabhängigkeit, sondern die bewusst gewählte Wechselbeziehung; die Bereitschaft sich mit dem Anderen zu verändern. Das entspricht dem oben angesprochenen Problem: Die erste Aufgabe ist es, sein eigenes Verhältnis zur Welt nicht zum Maßstab zu machen, sondern Gott zu überlassen, was Wahrheit ist. Auch in Beziehungen. Zu wissen: mein Schmerz, meine Verletzung, meine Ansichten und Absichten sind da und die nehme ich Ernst. Aber sie sind nicht der letzte Maßstab. Der Andere hat auch was zu sagen, ja ich kann womöglich sogar etwas lernen, vielleicht muss ich sogar etwas aufgeben und ich liege falsch. So mancher eigene Traum entpuppt sich dabei womöglich als Illusion. Augenhöhe fordert manchmal auch etwas von mir. Die Unterordnung unter Gott, und, so vermittelt, die Wachstumsbeziehung mit dem Nächsten, führt, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht, aber zu echter Gemeinschaft, zu gemeinsamem Wachstum und Lebensfreude. Sie führt also letztlich zu einem Mehr an Wahrheit, einem Mehr an Liebe und einem Mehr an Frieden.

Was romantische Beziehungen angeht...

...hilft es sicherlich ungemein, eine feste Grundlage für eine solche Beziehung zu schaffen. Dem Anderen auf verschiedenen Ebenen eben zu vermitteln: ich stehe zu dir, selbst wenn wir uns mal verkrachen, und möchte bereit sein, mit dir gemeinsam zu dieser Gemeinschaft hin zu wachsen. Keine Forderungen und Ansprüche, keine verklärten Träumereien stehen hier im Mittelpunkt, sondern Bereitschaft zusammen zu wachsen. Damit das nötige Vertrauen für so eine Beziehung entstehen kann, ist ein öffentliches Versprechen zur Treue, das man sich gegenseitig gibt, ein hilfreicher Rahmen, wie auch diese Beziehung vor Gott zu verantworten. Was aber ist das anderes als eine öffentliche auf Lebenszeit geschlossene Ehe?

So verstanden ist Ehe keine konservative Einrichtung, weder per se sündige noch überkommene Struktur, sondern progressive Lebenseinrichtung, in der man sich immer wieder neu aufmacht, sich für Augenhöhe mit dem Anderen zu entscheiden. Dabei mag es passieren, dass sich traditionelle Rollenaufteilungen ergeben... oder auch nicht. Sollte es irgendwelche "natürlichen" Muster geben, denen Mann und Frau entsprechen, wie das etwa Komplementaristen behaupten, dann ergeben sie sich in dieser Logik irgendwann selbst. Wenn nicht, dann gibt es sie auch nicht. Eine allgemeine Regel für soziale Geschlechter jedoch aufzustellen, scheint die Augenhöhe selbst umgehen zu wollen. Sie schafft eine scheinbare Abkürzung und wird dem einzelnen Menschen, ihrer Erfahrungen und ihrer Vielfalt, seiner "männlichen" und "weiblichen" Seite (was auch immer das heißen mag), nicht gerecht. Solche Regeln, wie sie in vielen konservativen Posts erscheinen, schmälern letztlich auch die große Vision, die die Bibel aufzeigt: Friede in dieser Welt, innerlich und äußerlich, "wie im Himmel so auf Erden" (Mt 6,10). Sie nimmt nämlich das Geschlecht des Menschen nur als Kategorie wahr, nicht den Menschen selbst und seine absolute Würde, die ihm als Bild Gottes zu eigen ist.